Glioblastome sind besonders aggressive Hirntumore, die schnell in das gesunde Hirngewebe wuchern. Welche Tricks die Tumorzellen hierfür anwenden und welche therapeutischen Möglichkeiten sich aus der Aufklärung dieses tödlichen Mechanismus ergeben könnten, hat Prof. Dr. Helmut Kettenmann aus Berlin untersucht.
Glioblastome sind besonders bösartige Hirntumore. Steht die Diagnose fest, haben die meisten Patientinnen und Patienten nur noch ein Jahr zu leben. Denn es fehlt an erfolgreichen Behandlungsmöglichkeiten. Die Glioblastomzellen sind äußerst aggressiv und wachsen sehr schnell auch in das gesunde Hirngewebe hinein. Ein Glioblastom kann deshalb chirurgisch nie vollständig entfernt werden. Aktuelle Forschungsergebnisse von Prof. Dr. Helmut Kettenmann vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin liefern nun möglicherweise einen neuen therapeutischen Ansatz. Unter seiner Leitung hat ein internationales Forscherteam herausgefunden, wie sich die Tumorzellen ihren Weg in die gesunden Gebiete des Gehirns bahnen: Sie manipulieren andere Zellen des Gehirns. „Vielleicht können wir den Tumorzellen in Zukunft genau diesen Weg versperren“, hofft Professor Kettenmann. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen eines deutschpolnischen Partnerschaftsprogramms gefördert.
Um im Gehirn zu wuchern, müssen die Tumorzellen das Gewebe zwischen den Gehirnzellen, das extrazelluläre Matrix genannt wird, auflösen. Hierfür sind bestimmte Enzyme, die Metalloproteasen, nötig, die von den Tumorzellen aber nur in einer inaktiven Vorform gebildet werden. Um ihre Metalloproteasen zu aktivieren und die extrazelluläre Matrix zu durchdringen, wenden die Tumorzellen deshalb einen Trick an. Sie manipulieren für ihre Ausbreitung andere Zellen, und zwar Mikrogliazellen, die Immunzellen des Gehirns. Mikrogliazellen haben eigentlich die Funktion, Erreger und Entzündungen abzuwehren und so das Gehirn und den Rest des zentralen Nervensystems zu schützen. Glioblastomzellen aber locken die Mikrogliazellen an den Rand des Tumors und stimulieren eines ihrer Oberflächenmoleküle, die Toll-like-Rezeptoren. So wird eine Kette molekularer Prozesse in den Immunzellen angestoßen. Das Ergebnis: Die Mikrogliazellen setzen genau das Enzym frei, das die Tumorzellen benötigen, um ihre eigenen Metalloproteasen zu aktivieren und die extrazelluläre Matrix für ihre Ausbreitung aufzulösen. Dieses Enzym nennen die Forscher Membran-Typ 1-Metalloprotease. Die Immunzellen machen also den Tumorzellen den Weg in das Gehirn frei.
„Wir haben entdeckt, dass die Tumorzellen ohne die von den Mikrogliazellen freigesetzte Membran-Typ 1-Metalloprotease nicht so aggressiv wuchern können“, erklärt Professor Kettenmann. Greifen die Forscher genau in diesen Prozess ein, also in die Manipulation der Mikrogliazellen, wird das Tumorwachstum in Mäusen gehemmt: „Bei Mäusen, in denen wir das Gen für die Membran-Typ 1-Metalloprotease oder den Toll-like-Rezeptor ausgeschaltet haben, lockten die Glioblastome weitaus weniger Immunzellen an und die Tumore wuchsen deutlich langsamer.“
Könnte die Blockade des Toll-like-Rezeptors auf den Mikrogliazellen auch bei Patienten mit einem Glioblastom die Wucherung der Krebszellen mildern? „Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Aber zumindest haben wir mit diesem Oberflächenmolekül und den nachgeschalteten molekularen Prozessen neue Zielstrukturen entdeckt. Diese könnten zur Entwicklung zukünftiger Therapiekonzepte beitragen“, sagt Professor Kettenmann.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Helmut Kettenmann
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin
Zelluläre Neurowissenschaften
Robert-Rössle Straße 10
13125 Berlin
Tel.: 030 9406-3325
Fax: 030 9406-3819
E-Mail: kettenmann@mdc-berlin.de